Die Elektromobilität ist auf dem Vormarsch und NIO, ein chinesischer Elektrofahrzeughersteller, spielt dabei eine interessante Rolle. NIO ruft die „Revolution der Elektromobilität“ durch Batterietauschstationen aus. Und wie verhalten sich Second-Life-Ideen dazu?
Lesedauer 5 Min.In einer Welt, in der die Elektromobilität unaufhaltsam an Fahrt gewinnt, steht ein chinesischer Autohersteller namens NIO im Rampenlicht. Gegründet im Jahr 2014 in Shanghai, hat sich dieses Unternehmen zu einem der Schlüsselspieler in der chinesischen Elektromobilitätsbranche entwickelt. Doch was NIO wirklich herausstechen lässt, sind nicht nur ihre Elektrofahrzeuge, sondern eine innovative Lösung, die die Achillesferse der Elektromobilität angeht: die begrenzte Reichweite.
Während viele Elektrofahrzeugbesitzer an herkömmlichen Ladestationen lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, bietet NIO eine innovative Alternative. Die sogenannten „Batterietauschstationen“ sind der Dreh- und Angelpunkt dieser Strategie. Und jetzt sind sie nicht mehr nur in China zu finden – eine dieser Stationen hat kürzlich in Europa, genauer gesagt am Autorasthof Seligweiler bei Ulm, ihren Betrieb aufgenommen. Diese Station liegt direkt neben einem großen Tesla-Ladepark und einigen Schnellladesäulen der EnBW. Die Wahl des Standorts macht deutlich, dass sie sich nicht hinter etablierten Lösungen verstecken. Batterietauschstationen ermöglichen es ein Elektroauto innerhalb von Minuten „aufzutanken“. Zudem erlaubt das System den Autobesitzern, von neueren, leistungsfähigeren Batterietechnologien zu profitieren, ohne ein neues Fahrzeug kaufen zu müssen. Dieser Service reduziert zudem die Spitzenbelastung an Ladestationen und im Netz und kann so zu einer besseren Verteilung der Energielast beitragen. Doch ist das Batterietauschsystem wirklich der Schlüssel zur Lösung der sogenannten „Reichweitenangst“? Ein Phänomen, das es sogar als „German Reichweitenangst“ in den englischen Sprachraum geschafft hat. Einige behaupten, es handle sich um eine „typisch deutsche Angst“. Aber vielleicht ist es ja so, als würde man befürchten, dass der Regenschirm genau dann kaputt geht, wenn es zu regnen beginnt?
Weltweit gibt es über 1.300 Batterie-Tausch-Stationen der Firma NIO (auch SWAP-Stationen genannt). Die meisten Stationen betreibt das Unternehmen in seinem Heimatland. Dort arbeiten auch die meisten der ca. 14.000 Beschäftigten (Stand 2022). NIOs Design- und Markenentwicklungszentrum befindet sich in München. Hier wird am Erscheinungsbild der neuen Autos gefeilt. Die Software für die Fahrzeuge stammt aus dem Silicon Valley.
Das Unternehmen NIO verspricht, schnell, effizient und umweltfreundlich zu sein. Die freundliche NIO-Mitarbeiterin, die mich auf meiner spontanen Stippvisite in Seligweiler ansprach, als ich mir die Station anschaute, versicherte mir, ein Wechsel dauere nur fünf Minuten. Für den Wechsel muss das Auto in die Station fahren, ein Roboterarm entnimmt dann die leere Batterie und ersetzt sie durch eine volle. Die entleerte Batterie wird in einem Speicher an der Station aufgeladen und kann danach in ein anderes Fahrzeug eingesetzt werden. Laut einem Bericht des Online-Magazins heise.de aus dem Jahr 2022 halten die Stationen ungefähr zehn Batterien pro Standort bereit. Vor Ort sprach die Mitarbeiterin von mehreren Batterien, ohne eine genaue Zahl zu nennen. Nach dem Batterietausch verfügt das Auto über genug Energie für 450 Kilometer. Ein Kernstück der NIO-Strategie ist die modulare Bauweise und die Standardisierung der Batterien, die nicht nur den Austausch erleichtern, sondern auch Upgrades einzelner Zellen ermöglichen. Kunden müssen nicht in eigene Batterien investieren – ein Abomodell reduziert die Anfangsinvestition erheblich. Das bereits etablierte Netzwerk in China bezeugt das Potenzial dieser Idee und unterstreicht die Ambitionen für eine ähnliche Expansion in Europa.
Jede Medaille hat zwei Seiten
Die Geschichte erinnert jedoch stark an das Unternehmen “Better Place”. Gegründet im Jahr 2007 von Shai Agassi, hatte Better Place die Vision, ein weltweites Netzwerk von Batterietauschstationen aufzubauen. Das Unternehmen ging allerdings 2013 in Konkurs, hauptsächlich wegen finanzieller Schwierigkeiten und der geringen Akzeptanz des Konzepts zu jener Zeit. Die Begrenzung des Tauschsystems auf die Fahrzeugmodelle von NIO und die Herausforderung, eine flächendeckende Infrastruktur aufzubauen, werfen Fragen bezüglich des Erfolgs der Idee auf. Ist ein solches Tauschsystem überhaupt notwendig oder dient es letztlich als zusätzliches Verkaufsargument? Ist das Batterietauschsystem wirklich der zukünftige Standard, oder wird es von der fortschreitenden Batterieentwicklung mit immer kürzeren Ladezeiten überholt?
Es scheint, als hätte Tesla eine ähnliche Wechsellösung in petto, wie ein öffentlicher Antrag beim US-Patentamt zeigt. Im Gegensatz zu NIO soll der Wechsel bei Tesla über eine Hebebühne erfolgen. Allerdings dauert der automatische Prozess bei Tesla mit 15 Minuten. Und damit zwar etwas langsamer als bei NIO, aber noch deutlich schneller als das Laden an einer Schnellladesäule. Ein Vorteil des Tesla-Systems soll jedoch darin bestehen, dass die Stationen mobil sein sollen. In den frühen Jahren des Model S bot Tesla ein begrenztes Batterietauschprogramm an. Bei einer Demonstration 2013 zeigte Elon Musk, dass das Batterietauschsystem schneller als das Befüllen eines Benzinautos funktionierte. Allerdings wurde dieses Programm nicht umgesetzt, und Tesla konzentrierte sich stattdessen auf die Weiterentwicklung seiner Supercharger-Netzwerke. Aktuell sind zudem nicht alle verfügbaren Tesla-Modelle für den Tausch geeignet. Bei dem Model 3 beispielsweise befinden sich die Akkuzellen nicht im Boden des Fahrzeugs, was einen Tausch zeitaufwendig und kompliziert macht (smarter-fahren.de). Ein Hauptproblem beider Systeme ist die Spezifik der Tauschsysteme wodurch sie nicht universell nutzbar sind. Das bedeutet, Eigentümer von Fahrzeugen wie beispielsweise dem BMW i3 oder Nissan Leaf müssen weiterhin herkömmlich laden.
In anderen Bereichen ist der Tausch von Batterien bereits gängig. Ein Alltagsbeispiel hierfür sind Akkuschrauber. Bei diesen Geräten können Anwender den leeren Akku einfach herausnehmen und durch einen vollen ersetzen, um ohne Unterbrechung weiterarbeiten zu können. Aber auch im Mobilitätsbereich abseits des Autos gibt es etablierte Systeme. So produziert Gogoro aus Taiwan Elektroroller mit einem besonderen Feature: In wenigen Sekunden kann man leere Batterien an bestimmten Punkten gegen volle austauschen. Derzeit ist dies nur in Taiwan möglich. In Taipeh tauschen täglich 50.000 Menschen an nahezu 500 Stationen über 33.000 Batterien. Ein weiteres Beispiel ist in Europa zu finden. Das Unternehmen TIER Mobility, bekannt für seine E-Scooter, hat ebenfalls ein Akku-Tauschsystem namens „swap“ eingeführt. Nutzer können leere Batterien ihrer E-Scooter an speziellen Stationen gegen voll geladene austauschen und erhalten als Belohnung Bonusminuten für ihre nächste Fahrt. Dies fördert nicht nur das Umweltbewusstsein, sondern motiviert auch zur aktiven Teilnahme.
Second Life – Eine Idee zur Zweitverwendung?
Alte Batterien stellen aufgrund ihres nachlassenden Speichervermögens oft eine Herausforderung für den Einsatz in Elektrofahrzeugen dar. Jedoch bieten sich durch innovative Ansätze wie neue Verwertungsmöglichkeiten Chancen, diese Batterien sinnvoll weiter zu nutzen. Tauschsysteme, wie skizziert, sind eine interessante Variante, um dem Problem entgegenzuwirken. Eine andere Nutzung von älteren Batterien sind sogenannte Second Life Systeme. Obwohl sie nicht mehr die erforderliche Kapazität für den Einsatz im Automobilbereich aufweisen, können sie dennoch in anderen Anwendungen, insbesondere als stationäre Energiespeicher in Wohngebieten, Geschäften oder Industrieanlagen wertvoll sein. Das verlängert ihre Lebensdauer und reduziert den Recyclingbedarf.
Ein spannendes Beispiel ist das Second-Life-Projekt in der Johan-Cruijff-Arena, dem Heimstadion von Ajax Amsterdam. Dort, im größten Multifunktionsstadion der Niederlande, beherbergt der „Stadionbauch“ Europas größten Energiespeicher. Mit einer Kapazität von 2,8 MWh – das entspricht der Batteriekapazität von 148 Nissan Leafs – setzt dieses System Maßstäbe. 4.200 Solarmodule auf dem Stadiondach versorgen es. Henk van Raan, Innovationsdirektor der Arena, hebt hervor: Das Stadion nutzt nicht nur eigene nachhaltige Energie, sondern speist auch Überschüsse ins Netz. Das erhöht die Energieeffizienz und stabilisiert Amsterdams Stromnetz. Selbst bei Stromausfall bleibt das Stadion betriebsbereit. „Bis auf die Bierpumpen halten wir alle sicherheits- und medientechnischen Systeme aufrecht“, kommentiert van Raan humorvoll.
Ein Diskussionsthema ist die geopolitische Abhängigkeit von Rohstoffproduzenten, besonders aus China. China führt beim Batteriezellenmarkt und bei Schlüsselrohstoffen wie Lithium und Kobalt. Ein von China dominiertes Tauschstationsnetz könnte Europas Abhängigkeit vertiefen, was Risiken birgt. Im Gegensatz zu China mangelt es in Deutschland und Europa an Flächen für Tauschstationen. Ein Ansatz: Umrüsten bestehender Tankstellen. Das bietet den 14.000 deutschen Tankstellen Chancen. Es kombiniert Recycling mit Modernisierung – ökologisch und wirtschaftlich klug. Ein dichtes Tauschstationsnetz verkürzt Ladezeiten und entlastet das Stromnetz. Betreiben wir diese Stationen mit erneuerbaren Energien, fördert dies umweltfreundliches Laden und senkt den CO2-Fußabdruck.
Vision für die Zukunft
Ein solches System birgt viele Vorteile. Ein dichtes, markenübergreifendes Tauschstationsnetz könnte mit leichten, umweltfreundlichen Fahrzeugen harmonieren. Sie könnten schnell austauschbare, leistungsstarke Batterien nutzen. Das senkt den Ressourcenbedarf und die CO2-Emissionen. Kleinere Batterien reduzieren den Bedarf an Lithium, Kobalt und Nickel. Das mindert Abhängigkeiten und kann geopolitische Spannungen entschärfen. Solche Systeme schaffen zudem Jobs in Betreuung, Wartung und Recycling.
Die technologischen Herausforderungen sind jedoch enorm. Ein modulares Batteriedesign erhöht die Flexibilität der Nutzer. Ein standardisierter Modul-Batteriebausatz, der markenübergreifend funktioniert, bleibt aber in weiter Ferne. Aktuell stehen fahrzeugspezifische Systeme im Vordergrund. Ein Hybridansatz, der Batterietausch und traditionelles Laden kombiniert, könnte ideal sein. Einige Fahrer bevorzugen den schnellen Tausch, andere laden lieber zu Hause.
Das Batterietauschsystem hat durchaus Potenzial, besonders in Regionen, in denen schnelle Ladeinfrastrukturen fehlen. Die Integration von Batterietausch- und Second-Life-Systemen könnte sich je nach Region unterschiedlich gestalten. In urbanen Räumen, wo Platz knapp und die Bevölkerungsdichte hoch ist, sind automatisierte Tauschstationen denkbar. In ländlichen Gebieten hingegen könnten die Stationen zur „Tankstelle der Zukunft“ werden und zusätzliche Services bieten, wie beispielsweise längere Lagerkapazitäten für Batterien. Allerdings könnte die rasante Entwicklung von Batterietechnologien mit immer kürzeren Ladezeiten diesen gesamten Ansatz in den Hintergrund rücken. Es bleibt abzuwarten, wie sich Technologie und Marktbedürfnisse entwickeln.
Abschließend: Ein Batterietauschsystem ist nur ein Teil der Mobilitätszukunft. Es muss mit anderen Lösungen wie öffentlichem Verkehr, Carsharing, Radinfrastrukturen und Fußgängerzonen harmonieren. Nur ein integrierter Ansatz sichert eine nachhaltige Mobilitätszukunft.
Valentin Gauß ist Mobilitätsexperte, der sich leidenschaftlich mit nachhaltiger, vernetzter und digitaler Fortbewegung sowie Fragen der künftigen Energieversorgung und Stadt von Morgen beschäftigt. Bereits im Studium in Heidelberg entwickelte er eine Leidenschaft für dynamische gesellschaftliche Veränderungen. Ihn begeistern die sich daraus ergebenen Möglichkeiten. Als Referent eines Ministers analysierte er komplexe Themen und gewann wertvolle Einblicke in politische Entscheidungsprozesse. Neben seiner beruflichen Tätigkeit engagiert er sich bei Rotary und ist ein begeisterter Netzwerker, der es versteht, Personen und Themen miteinander zu verbinden, um innovative Lösungen voranzutreiben.